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Zwischentöne – ein Ensemble wird zwanzig

Ein persönlicher Blick zurück

von Ellen Fricke

[Aufsatz erschienen in: Positionen – Beiträge zur neuen Musik, November 2008, S. 32–33]

 

 

 

Geburtstagswünsche. Kein Nachruf. Trotzdem frage ich mich: Was bleibt? Was ist? Ich erinnere mich an Zwischentöne als einen Ort der Durchlässigkeit und Transformation, der insbesondere in den neunziger Jahren und etwas darüber hinaus für die zeitgenössische Musik in Berlin ein wichtiger Impulsgeber war. »Wo jeder alles dürfen darf«, wie es Eleonore Büning in der FAZ formulierte. »Die freieste aller Gruppen experimenteller Musiker in Berlin«, so Mathias Entreß 2001 in einem Beitrag für Positionen (Matthias R. Entreß, Ensemble Zwischentöne: Musik für den Blick nach draußen, in: Positionen. Beiträge zur neuen Musik, August 2001 TonSysteme, S. 64). Die vom Ensemble Zwischentöne von 1999 bis 2002 realisierten Konzertreihen, mit Peter Ablinger als Ensembleleiter und Maarten Voss als Organisator und Veranstalter, waren wegweisend: 1999 Musik für Orte mit Uraufführungen von Georg Nussbaumer, Alvin Lucier und Benedict Mason in den Toilettenräumen der Schaubühne, in der Parochialkirche und im ehemaligen Rundfunk der DDR in der Nalepastraße. 2000 Für Nader, Christian und Pauline mit Uraufführungen von Nader Mashayeki, Christian Wolff und Pauline Oliveros. 2001 Musik für den Blick nach draußen mit Uraufführungen von Akio Suzuki, zeitblom und Makiko Nishikaze und 2002 Physignomien des Lautens (Konzept: Ellen Fricke) mit Uraufführungen von Peter Ablinger, Antoine Beuger, Ellen Fricke, Robin Hayward, Michael Hirsch, Rainer Killius, Klaus Lang, Georg Nussbaumer und Wolfgang von Schweinitz.

 

Zeitsprung 1: Kreuzberg SO 36

1988, als im Künstlerhaus Bethanien alles anfing, hätte niemand von den damaligen Gründungsmitgliedern, zu denen auch ich gehörte, gedacht, dass das »Projekt Zwischentöne« eine derartige Entwicklung nehmen würde. Wir machten damals Pläne und gingen Abwege, die für Zwischentöne später unter anderem nach Donaueschingen führen sollten. Eine lange Zeit und ein weiter Weg, vergegenwärtigt man sich den Beginn. Dieser lag in einem Kurs zur Neuen Musik und Improvisation, den Peter Ablinger, damals Klavierlehrer und als Komponist noch völlig unbekannt, an der Musikschule Kreuzberg gab. Ich habe das Bild noch vor mir: Draußen regnet es. Ein Mann blickt aus dem Fenster, den Rücken der Tür zugewandt. Ich stolpere verspätet und etwas abgehetzt in den Raum sage »Hi!«. Und es passiert – nichts. Die Frau am Klavier immerhin wirft mir einen freundlichen Blick zu, es ist Gisela Klein, die spätere Pianistin des Ensembles. Der Mann sieht weiter aus dem Fenster. »Bin ich hier richtig beim Improvisationskurs?«, dann sage ich auch nichts mehr. Schweigen. Noch längeres Schweigen. Und man hört den Regen ... Rauschen. Dann dreht sich der Mann um – es ist Peter Ablinger – lächelt und sagt »Hallo«.

 

Zwischentöne und der Ablingerismus

Intervention: »Stattdessen wende ich mich nun – in der guten alten akademischen Tradition der Gegenrede – gegen den in den bisherigen Vorträgen implizit oder explizit vertretenen Ablingerismus, der den Beitrag der Ensemblemitglieder – zugespitzt gesagt – auf die Funktion ferngesteuerter Materialmarionetten reduziert. Ich verteidige die Autonomie des Interpreten und Ensemblemitglieds und behaupte dessen originären Beitrag [...]. Im Übrigen bin ich davon überzeugt, dass Peter Ablinger selbst kein Ablingerist ist.« (Zitat aus meinem Vortrag anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Ensemble Zwischentöne am 25. Mai 2008.)

 

Zwischentöne und die Rolling Stones

Spontane Vergleiche können zuweilen ein wenig boshaft sein. Zwischentöne sind und waren immer eine sich ständig wandelnde Form und nie eine feste, sklerotisierte Formation. Für viele Komponisten und Interpreten war das Ensemble »Türöffner« für Berlin und erste Durchgangsstation für den je eigenen weiteren Weg. »Komponisten und Performer nützen das Ensemble als Experimentierfeld und Werkstatt für eine Musik jenseits der abstrakten Grenze zwischen Werk und Interpretation.« In diesem alten Programmhefttext fehlt etwas beziehungsweise wird nicht explizit gemacht. Denn auch die Musiker des Ensemble Zwischentöne selbst haben das Ensemble genutzt. Ensemblemitglieder haben komponiert (Bill Dietz, Ellen Fricke, Robin Hayward, Rainer Killius, Gisela Klein, Alex Kolkowski, Christos Kokkolatos, Inge Morgenroth, Natalia Pschenitschnikowa und Chiyoko Szlavnics) und Konzerte und Konzertreihen konzipiert (Bill Dietz als aktueller Ensembleleiter, Ellen Fricke, Natalia Pschenitschnikowa und Chiyoko Szlavnics).

 

Zeitsprung 2: Zwischentöne und die Berliner Szene

Die Gründung von Zwischentöne geschah in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche und Neuanfänge. Im Berliner Westen gab es 1988 den ersten großen Unistreik seit 1968 mit Protesten und Demonstrationen von über 100.000 Studierenden der Westberliner Universitäten. Im Berliner Osten gab es Proteste und Demonstrationen gegen das bestehende Regime der DDR, bis schließlich im November 1989 die Mauer fiel. Im Westberlin Ende der achtziger Jahre bestand de facto bis dahin keine breite Szene Neuer Musik und es gab keine Ensembles, die avantgardistische Konzepte und Kompositionen hätten spielen können. Ein einsamer Leuchtturm war nach meiner Erinnerung Erhard Großkopfs 1978 begründete Konzertreihe Inselmusik und es gab seit 1983 den Zusammenschluss der Freunde guter Musik Berlin. Neben den bereits bestehenden Maulwerkern entstand etwa zeitgleich mit dem Ensemble Zwischentöne lediglich das Ensemble work in progress unter der Leitung von Gerhard Müller-Goldboom.

Die Musikschule Kreuzberg – angesiedelt im Künstlerhaus Bethanien am Mariannenplatz, direkt an der früheren Mauer – entwickelte sich unter ihrem damaligen Leiter, Michael Schwinger, zu einem weiteren wichtigen Kristallisationspunkt der neuen Musik des wiedervereinigten Berlin. Viele Komponisten und Interpreten zeitgenössischer Musik aus Ost- und West unterrichteten dort zeitweilig. Unter diesem Dach initiierte Peter Ablinger 1990 das Festival Klangwerkstatt, das nach meiner Erinnerung erstmals ein größeres, institutionalisiertes Forum für die verschiedensten Strömungen der Berliner Szene neuer Musik und Konzeptkunst jenseits des akademischen Mainstreams bot und bei dem auch das Ensemble Zwischentöne nach der Gemeinschaftsarbeit Pläne und Abwege (1988) zum ersten Mal mit Kompositionen für Ensemble vor einem größeren Publikum auftrat.

 

Zwischentöne und der Laienmythos

Der Gründungsmythos der Zwischentöne ist die Mischung von Laien und Profis, die sich in der Konzert- und Probenwirklichkeit jedoch zunehmend auf Alibi-Laien reduzierte. »Diese Mischung ist Konzept«, so eine spätere Beschreibung, in der es im Weiteren heißt: »Sie bewahrt die Arbeit vor Routine und falscher Professionalität und ermöglicht die permanente Grenzüberschreitung, die das Leitmotiv der Zwischentöne ist.« Aber was heißt schon Laie und Profi? Wo liegt die Grenze? Für bestimmte »Erfordernisse spezifischer Arbeiten, Künstler, Konzepte oder Situationen« (Programmheftzitat) war auch der laienhafteste Zwischenton stets jedem Musikhochschulabsolventen ohne Erfahrung in zeitgenössischer Musik und deren Aufführungspraxis überlegen. Die Erfahrungen, die die Ensemblemitglieder mitbrachten, waren vielfältig und heterogen. Das war eine Stärke, aber auch nicht immer einfach: Was das Ensemble letztendlich zusammenhielt und was meiner Ansicht nach den ideellen Kern der Zwischentöne ausmacht, war der gemeinsame Wille zu interessanter Musik und kompromissloser Konzeptkunst. Noch etwas hatten »Profis« und »Laien« gemeinsam: Sie passten sich nicht nur in das Ensemble unter der jeweiligen Leitung ein, sondern passten das Ensemble auch ihren eigenen Zielen und Vorstellungen an. Und sie brachten etwas mit: ihre Begeisterung, ihre Hingabe, ihre Ideen, ihr Können, ihren Aufbruchswillen zu etwas anderem. Das ist nicht wenig. Das ist viel.

 

Zeitsprung 3: Mick Jagger lebt nicht mehr

Aktuelle Veranstaltungshinweise unter www.ensemble-zwischentoene.de. Es treten auf: Hans-Ulrich Altenkirch, Benedikt Bindewald, Bill Dietz, Agnieszka Dziubak, Jose Antonio Elguezabal, Kurt König, Volker Schindel, Dorothee Sporbeck und Helles Weber.

 

 

 

Ensemble Zwischentoene spielt Rolf Julius, Mai 2008

 

Generalprobe zur Komposition For Cello, Piano, and Percussion von Rolf Julius, uraufgeführt am 24. Mai 2008 im Ballhaus Naunynstraße im Rahmen der Festkonzerte Idiota Triumphans – 20 Jahre Zwischentöne. Es spielen Agnieszka Dziubak, Cello, Kurt König, Schlagzeug und Helles Weber, Klavier. (Foto: Peter Ablinger)